Marktentwicklung

September 25, 2025

Marktentwicklung & Rückgang der Shared-Rides: Was passiert gerade?

E-Scooter-Sharing war der Boomstar der Stadtmobilität. Seit 2022/23 kippt die Kurve: Flotten schrumpfen, einzelne Märkte bremsen, manche Städte ziehen die Reißleine. Dieser Bericht erklärt, was hinter den Zahlen steckt, wie sich Anbieter anpassen und was das für Pendlerinnen und Pendler praktisch bedeutet.

Daten & Trend: Vom Raketentempo zur Marktkorrektur

Nach dem Start um 2018/19 wuchsen Leih-E-Scooter in Europa im Rekordtempo: mehr Anbieter, größere Flotten, überall neue Zonen. Seit 2022/23 sieht die Realität nüchterner aus. Analysen von Fluctuo zeigen im zweiten Quartal 2023 einen Rückgang der Nutzung um etwa 10 % gegenüber Vergleichsjahren. Im European Shared Mobility Index (Q3 2023) fallen zusätzlich 14 % weniger Fahrten und 9 % kleinere Flotten ins Gewicht. Paris hat nach einem Bürgerentscheid die Leih-Scooter sogar komplett entfernt.

Visualisierung der gemeldeten Veränderungen 2023 (Europa): Ridership −14 %, Flottengröße −9 % (Polis Index Q3/2023); Q2/2023 Nutzung ca. −10 % vs. Vorjahre (Fluctuo). Quellen verlinkt im Text.
0% Q2 Nutzung Ridership Flotten −10% −14% −9%

Wichtig: Der gesamte Markt für Shared Mobility wächst dennoch weiter. Prognosen wie Metatech Insights taxieren bis 2025 rund 325 Mrd. USD. Was wir sehen, ist eine Segment-Korrektur: E-Scooter-Sharing stagniert oder schrumpft lokal, während andere Bereiche zulegen.

Warum es bremst: Von Sättigung bis Servicequalität

Sättigung des Markts

Die erste Boom-Welle brachte in vielen Großstädten eine Art Wildwuchs. In Berlin standen zeitweise zigtausende Leih-Scooter unterschiedlicher Betreiber gleichzeitig im Stadtbild, teils in wenigen Bezirken gebündelt. Das führte nicht zu mehr Komfort, sondern zu Überangebot: blockierte Gehwege, defekte Fahrzeuge, „Park-egal“. Anbieter versuchten, sich mit Rabattaktionen und Freifahrten zu überbieten. Das zog zwar kurzfristig Fahrten, führte aber zu ruinösem Wettbewerb ohne tragfähige Deckungsbeiträge. Städte wie Paris, Oslo oder Rom reagierten mit harten Flottenlimits oder Lizenzfenstern (nur 2–3 Anbieter). Es bringt Ordnung, nimmt aber dem Free-Floating die ursprüngliche Spontaneität.

Hohe Betriebskosten

Hinter dem simplen App-Entsperren stecken teure Prozesse: nächtliches Laden, Umverteilung zwischen Nachfrage-Hotspots, regelmäßige Wartung (Bremsen, Reifen, Elektrik) und Ausfälle durch Vandalismus/Diebstahl. Schätzungen aus Beratungsstudien (u. a. BCG) verorten die operativen Kosten pro Scooter-Tag im zweistelligen Eurobereich, während Erträge stark schwanken. Das Missverhältnis zwingt Anbieter zu Rückzügen, Fusionen oder strengeren Einsatzstrategien.

Verändertes Nutzerverhalten

2019 zählte der Reiz des Neuen. 2025 rechnen Vielfahrer nüchtern: 80–100 Fahrten pro Monat zu 2,50–3 € summieren sich schnell. Ein eigener, zugelassener Scooter mit Haftpflicht amortisiert sich in wenigen Monaten und ist jederzeit verfügbar. In Deutschland ist die Rechtslage klar (eKFV), was den Wechsel vom Mieten zum Kaufen erleichtert. Sharing rutscht damit in vielen Städten in die Rolle für Gelegenheitsfahrten oder Tourismus.

Servicequalität und Akzeptanz

Sichtbarster Kritikpunkt: Chaos im öffentlichen Raum. Falsch abgestellte Scooter blockieren Bürgersteige, Leitstreifen oder Einfahrten. Für Kinderwagen und Rollstühle wird das zur Barriere. Städte reagieren mit Abstellverbotszonen und „virtuellen Parkplätzen“, die in der App verankert sind. Technisch hapert es oft an Basics: leere Akkus, schwache Bremsen, ausgeschlagene Faltmechanik. Forschungsarbeiten (u. a. im Journal Case Studies on Transport Policy) zeigen: Akzeptanz hängt direkt an Wartungsqualität, Parkordnung und wahrgenommener Sicherheit.

Auswirkungen auf den Markt: Konsolidierung, Rückzüge, Fusionen

Die logische Folge aus Überangebot und Kosten ist Marktkonsolidierung. Viele Städte vergeben nur noch wenige Lizenzen. Kleinere Anbieter verschwinden; „Big Player“ sichern sich exklusive Slots. 2024 fusionierten Tier und Dott – ein Schritt, der Flotten, Beschaffung und IT bündelt und gegenüber Städten Verhandlungsmacht stärkt. Für Nutzer kann das weniger Wettbewerb und teils höhere Preise bedeuten, aber auch stabilere Services.

In einzelnen Märkten ist die Vielfalt faktisch vorbei: Wo 2020 noch ein Dutzend Logos um Aufmerksamkeit warb, bleiben 2025 oft zwei. Parallel werden die Anforderungen strenger: Mindest-Uptime der Flotte, Reaktionszeiten bei Beschwerden, verpflichtende Datenreports an die Kommunen.

Chancen: Qualität, Sicherheit, Nachhaltigkeit

Weniger Anbieter heißt nicht zwingend schlechtere Angebote. Städte verlangen Qualität statt Quantität: robuste Hardware, bessere Bremsen, austauschbare Akkus, feste Parkzonen. In Wien dürfen z. B. nur Systeme mit Batteriewechsel operieren, um Lade-Logistik zu vereinfachen und Emissionen zu senken. Kopenhagen deckelt Fahrzeuge pro Stadtteil, was Akzeptanz und Ordnung sichtbar erhöht.

Langfristig kann daraus eine stabilere Shared-Mobility-Infrastruktur entstehen, die mit ÖPNV verknüpft ist und die „erste/letzte Meile“ wirklich abdeckt – ohne den öffentlichen Raum zu überfrachten.

Neue Geschäftsmodelle: Abos und Hybridformen

Statt pay-per-ride testen Anbieter Monatsabos (z. B. 40–60 €) mit inkludierten Freiminuten oder Deckeln pro Tag. Das schafft Planbarkeit und bindet Pendler. Daneben entstehen Hybridmodelle: langfristige Miete eines Scooters plus Zugriff auf die Free-Floating-Flotte für spontane Fälle. Ziel ist klar: weniger Preisschock, mehr Verlässlichkeit – und damit bessere Auslastung.

Schematische Einordnung: Gesamtmarkt Shared Mobility wächst, einzelne Segmente wie E-Scooter-Sharing korrigieren. Größen illustrativ; Detailzahlen siehe Quellen.
Shared Mobility (global ↑) E-Scooter-Sharing (teilweise ↓)

Perspektive: Was heißt das für Städte und Nutzer?

Für Städte: klare Regeln zahlen sich aus. Bündelung an ÖPNV-Knoten, feste Parkzonen, Mindest-Wartungsstandards und transparente Datenlieferung sind die Stellschrauben. So bleibt das Angebot attraktiv, ohne den Straßenraum zu belasten.

Für Nutzer: Wer mehrmals pro Woche fährt, ist mit einem eigenen E-Scooter mit ABE + Haftpflicht meist günstiger und stressärmer unterwegs. Sharing bleibt perfekt für spontane Fahrten, Gäste in der Stadt oder seltene Wege.

FAQ: Häufige Fragen zur aktuellen Entwicklung

Verschwindet Scooter-Sharing jetzt überall?
Nein. Es handelt sich um eine Korrektur in einzelnen Städten. Manche Märkte regulieren strenger oder konsolidieren, andere wachsen weiter. Paris ist ein Sonderfall durch das lokale Referendum 2023.
Warum setzen Städte auf Abstellzonen?
Zonen verhindern chaotisches Parken, halten Gehwege frei und erhöhen die Akzeptanz. Der Preis ist weniger Spontanität, dafür mehr Ordnung und Sicherheit. Apps erzwingen das Parken in freigegebenen Bereichen.
Für wen lohnt ein eigener E-Scooter?
Für Vielfahrer:innen, die mehrmals pro Woche unterwegs sind. Ein eigenes, zugelassenes Fahrzeug mit Haftpflicht ist langfristig günstiger und zuverlässiger als Miete. Wichtig: eKFV-Vorgaben (20 km/h, Licht, zwei Bremsen, Klingel) beachten.

Quellen & weiterführende Links

Die Visualisierungen spiegeln Aussagen aus folgenden Reports/Seiten:

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